Als das Phantasialand noch Schlagzeilen machte: Richtige Power (Spiegel Ausgabe 37/1977)

  • Ich bin vor einigen Tagen eher zufällig über deinen Artikel gestolpert, der sich nicht alleine, aber doch hauptsächlich um das Phantasialand dreht und der so herrlich seiner Zeit entspricht und sich aus unserer Perspektive schon mit ein bisschen Humor liest:


    Richtige Power


    Siebzig Millionen Besucher kaufen sich in Freizeitparks ihr Fest- und Feiertagsvergnügen. Die Parkbesitzer rechnen mit weiterem Zulauf.


    Das Affentheater beginnt pünktlich alle halbe Stunde. Ringo schwingt die Bongos, Johannes kratzt über das Waschbrett, Swing King bläst die Trompete, und die Hula-Äffchen wackeln mit dem Bauch.


    500 Mamas und Papas, Opas und Omas, vor allem aber Kinder juchzen und klatschen, wenn die Affen jazzen. Bis zu zwanzigmal am Tag hat die haarige Truppe ihren Auftritt, an die 10 000 Zuschauer lockt sie täglich an.


    Dennoch geht den 23 Show-Affen nie die Puste aus. Ein Preßluft-Generator unter der Bühne bläst ihnen über Hunderte von Plastikschläuchen den notwendigen Lebensatem ein. Ein Computer steuert über Relais und Ventile den Auftritt.


    Das elektronische Affentheater ist die neueste Attraktion in »Deutschlands größtem Freizeit- und Abenteuerparadies«, dem Amüsier-Park »Phantasialand« in Brühl bei Köln.


    Dort, auf dem Gelände einer ehemaligen Stuhlfabrik, machen ein früherer Puppenfilmer und ein erfahrener Schausteller mit Vergnügen das große Geld. Richard Schmidt, der einst für das Zweite Deutsche Fernsehen Puppenfilme drehte, tat es nämlich »in der Seele weh«, Schneewittchen und die sieben Zwerge nach der letzten Klappe auf den Müll zu werfen.


    In einem Wald in der Nähe seiner Brühler Wohnung wollte er die ausgedienten Fernseh-Figuren und Kulissen, Kindern zur Freude, wieder aufstellen.


    Sein Freund Gottlieb Löffelhardt allerdings, der damals Karussells an skandinavische Rummelplätze vermittelte, warnte den Artisten gleich: »Richard, da fehlt die action.«


    Davon gibt es jetzt genug. Über den Köpfen von Aschenputtel und Dornröschen schwebt eine Einschienenbahn vorbei an »Schloß Schreckenstein«. »Die z. Z. einzige Gondelschwebebahn Deutschlands« gleitet in einem Höhlengebirge aus gespritztem Beton durch »1001 Nacht«, beim Drachen rein, beim Totenkopf wieder raus.


    Die Schau der Freizeitunternehmer kommt an: 1,6 Millionen Besucher pro Jahr zieht es ins »Phantasialand«, bis zu 20 000 am Tag. Selbst Deutschlands bekannteste Touristenattraktion« das Märchenkönigsschloß Neuschwanstein in Bayern, kommt da nicht mit.


    An manchen Tagen sind Autobahnen und Straßen kilometerweit um Brühl von »Phantasialand«-Fahrern verstopft. Am 21. Juli etwa, dem belgischen Nationalfeiertag, strömten schon früh um acht die Autokolonnen über die nur 50 Kilometer entfernte deutschbelgische Grenze. Puppenmacher Schmidt stand untröstlich an der Autobahnabfahrt und winkte die enttäuschten Familien weiter: Seine Traum-Welt war wegen Überfüllung geschlossen.


    Das »Phantasialand« ist der bisher erfolgreichste von einem Dutzend Versuchen, Rummelplatz und Zoo, Zirkus und Stadtpark zu einem einträglichen Freizeitunternehmen zu fusionieren.


    Weitere 200 Märchen- und Miniaturparks, ausnahmslos deutlich kleiner und häufig am Rande des Ruins, versuchen sich ihren Teil des Geschäfts mit der Freizeit zu holen. Und über 3000 mal vermitteln »Großwild-Reservate«, »Streichelzoos« und »Wildparks« gegen Eintritt »Mensch-Tier-Kontakte« (Fachjargon).


    Selbst Fußballstadien (60 Millionen Besucher) haben weniger Anziehungskraft: Über 70 Millionen Menschen verbringen 1977 Feier- oder Ferientage in Freizeitparks, schätzt Westdeutschlands bislang einmaliger »öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Freizeitanlagen«, der Unternehmensberater Carl M. Wenzel aus Sierksdorf an der Ostsee. Der Umsatz der Freizeitunternehmer wird dieses Jahr vermutlich 400 Millionen Mark übersteigen.


    Für die Amüsier-Industrie ist die Bundesrepublik dennoch »Entwicklungsland« (Wenzel). Allein Disneyland in Kalifornien und Disney-World in Florida, die unerreichten Vorbilder der westdeutschen Familienparks, nehmen mehr ein als die gesamte Freizeitpark-Branche der Bundesrepublik. Mit etwa 40 Parks im Disney-Format haben die USA nach Meinung der »New York Times« schon den »Sättigungspunkt« der Vergnügungswelle erreicht.


    In der Bundesrepublik dagegen rechnen sich findige, manchmal auch windige Unternehmer noch große Chancen aus.


    Ende Juli zum Beispiel überraschte der Wiener Sänger Andre Heller, der zuvor mit seinem nostalgischen Zirkus Roncalli« pleite gemacht hatte, die Münchner Stadtväter mit dem Vorschlag, das dahinsiechende Olympiadorf mit einer »Weltausstellung der Phantasie -- so zwischen Disneyland und Oktoberfest« zu beleben.


    Den Düsseldorfer Behörden versucht die »kontraktbau AG & Co. KG« aus Wiesbaden die Genehmigung für einen »Urweltpark« in der Einflugschneise des Flughafens abzuhandeln. Für 30 Millionen Mark wollen die Wiesbadener dort -- so ihr Architekt Ernst A. Welle -- »'ne richtige Poweranlage« hinstellen.


    In der Lüneburger Heide, nahe Soltau, erwarb der Hittfelder Schausteller Hans-Jürgen Tiemann 50 Hektar sturmzerzaustes Ödland. Schon nächstes Jahr sollen sich in dem »Heidepark« 200 000 Besucher vergnügen. Die Soltauer Stadtväter sind -- so Tiemann -- vor Begeisterung »praktisch ausgeflippt«.


    Soviel Unternehmungslust ist auch durch eine lange Liste fehlgeschlagener Freizeit-Unternehmen nicht zu beeindrucken. Auf dem Heideland zum Beispiel hatten nach den Plänen des Wuppertaler Textilkaufmanns Rolf Sträter eigentlich Dinosaurier stehen sollen. »Textil ist pass«, schloß er kurz, »da habe ich an die Freizeit gedacht.«


    Die bis zu 27 Meter langen und 13 Meter hohen Riesenviecher aus Glasfiber sollten nach Sträters Rechnung 18 Prozent Rendite abwerfen, Dennoch fand sich für Sträters »Gesellschaft für Urweltpräsentation« nur ein einziger Kapitalanleger -- die Hasen auf der Heide blieben vorerst unter sich.


    50 Kilometer weiter südlich scheiterte der amerikanische Freizeitpark-Unternehmer und Karussell-Importeur Mickey Hughes. Der US-Experte hatte neben dem »Serengeti-Groß-Wildpark« Riesenräder und Karussells im amerikanischen Stil aufgetürmt. Vergeblich warnte ihn sein Freund Löffelhardt vom »Phantasialand": »Mickey. hier ist nicht Amerika.«


    Die Kombination von Rummelplatz und Drive-in-Zoo ging daneben. Nachdem die Besucher die »wilden Tiere in freier Natur« von der Familienkutsche aus besichtigt hatten, fuhren sie zumeist geradewegs an Mickeys Park vorbei wieder auf die Autobahn.


    In Amüsierlaune waren sie ohnehin nicht. Wachttürme, Autoschleusen wie an der DDR-Grenze und vier Meter hohe Zäune für Löwen, Elefanten und Paviane lassen das rechte Gefühl für die Freiheit der Steppe kaum aufkommen. Nach zwei Jahren mußte der Amerikaner sein Spielzeug unter Verlust wieder abbauen: Er hatte immerhin einige Millionen Dollar bei Hodenhagen in den Sand gesetzt.


    Wenig Spaß hatte auch der Hamburger Baulöwe Hans Peter Rüster mit einem Amüsierpark an der Ostsee. Aus 28 Millionen Kunststoff-Bausteinen der dänischen Firma Lego ließ er ganze Städte en miniature nachbauen -- von Rüdesheim am Rhein bis zur Skyline von New York.


    Letztes Jahr wurde das »Legoland« Klötzchen für Klötzchen wieder abgeräumt. Statt der im Eröffnungsjahr 1973 erwarteten 1,6 Millionen Besucher kam nur die Hälfte. Erwachsene langweilten sich in den Kleinstädten, Kinder brachten nicht genug in die Kasse. Rüsters Deutsche Familienpark GmbH« wurde liquidiert.


    Im Herbst 1976 fand die Kieler Landesbank, die das 30-Millionen-Mark-Objekt mitfinanziert hatte, eine neue Geldquelle für den Spielplatz: Flick-Enkelin Dagmar Gräfin Vitzthum und ihren Onkel Karl Raabe. Die Erben haben schon zehn Millionen Mark investiert.


    Mit dem Flick-Geld kam Geschäftsführer Horst Hamelberg auch ein neues Konzept. Ostseelage und Einzugsgebiet inspirierten ihn zu dem »maritimen Thema Hanse«.


    Nun dreht sich im »Hansaland« ein Koggen-Karussell. Auch die »Hansa-Bootsfahrt« hat es in sich: »Auf einem kleinen Fluß fahren die Boote im Wasser« ("Hansaland«-Prospekt).


    Nach dem Vorbild der erfolgreichenwestdeutschen Freizeitparks verzichtet die neue »Parkstrategie« darauf, für jede »Attraktion« im Park noch einmal extra zu kassieren, ein Trick, der einst viele Legoland-Gäste verärgerte. Nachdem erst einmal neun Mark Eintrittsgeld abgeliefert wurden, sind die einzelnen Vergnügungen gratis.


    Dennoch kommen die Freizeitpark-Unternehmer auf ihre Kosten. Mit »Souvenir-Shops« und Wurstchenbuden, Getränkeständen und Gaststätten nehmen sie den Familien im Branchendurchschnitt mindestens noch einmal so viel Geld ab wie für den Eintritt.


    Das Mitfahren »so oft man möchte« ist ohnehin nicht so leicht. Im »Phantasialand« etwa müssen die Amüsierwilligen bis zu einer dreiviertel Stunde warten, um die Abenteuer der zementierten »Wildwasserbahn« zu erleben.


    Dieses geduldige Warten allerdings verschafft den Besuchern der Freizeitparks endlich das, was sie nach Meinung der Vergnügungs-Experten dort eigentlich suchen, »die zwanglose Kommunikation mit anderen Menschen«. Amüsier-Sachverständiger Wenzel hat es erforscht: »Die Kommunikation findet in der Schlange statt.«


    (Quelle:DER SPIEGEL 37/1977 )

    • Offizieller Beitrag

    Teilweise wirklich sehr lustig geschrieben und passt gar nicht mehr ( auch vom Verhalten der Besucher mittlerweile). Aber Danke für den Interessanten Bericht :D!

    Mit freundlichen Grüßen aus der Welt der Freizeitparks,

    Best regards from the world of amusement parks,


    Phantasiafreak92


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  • UNd da wird einem auch erst einmal klar, wie die meisten der Parks, die wir heute noch kennen eigentlich entstanden sind. Und es wirft noch einmal ein Licht darauf, dass vor allem das Phantasialand auf dem Enthusiasmus seiner Begründer basierte und erst in zweiter Linie auf dem Wunsch möglichst viel zu verdienen. Und wie perfekt sich die Kombination aus Träumer und Schausteller in Brühl ergänzt hat. Da wird einem erst einmal so richtig klar, wie es das Phantasialand an die Spitze der besten Freizeitparks in Europa gebracht hat. Und das obwohl man heute ja kaum mehr Besucher pro Jahr empfängt, als 10 Jahre nach der Eröffnung des Parks.


    Die Aufbruchstimmung in der Freizeitparkbranche in den 70ern, die man da aus den Zeilen liest... dazu das Wissen, dass sich da ein bis dahin un bekanntes Genie im Landkreis Günzburg gerade auf den Weg macht, die Freizeitpark- und Kirmeswelt buchstäblich auf den Kopf zu stellen... was muss das eine großartige Zeit gewesen sein!

  • Ich habe jetzt nochmal ein paar echt alte Videos aus dem Phantasialand gesehen. teilweise echt aus dem Jahr 1977, also dem Jahr aus dem der Artikel stammt und es ist wirklich beeindruckend, was damals in Brühl schon alles geboten wurde. Ihr kennt ja vielleicht noch die Nostalgie-Beiträge aus dem FPC-Radio, einer davon beschreibt die Starparade in der Skala im Phantasialand und so mancher mag denken, da spricht vor allem die übersteigerte Nostalgie aus meiner Erinnerung an die Animatronic-Show, doch ich bin gestern auf ein Video gestoßen mit (zumindest den wichtigsten Ausschnitten aus ) der Show und nein, ich habe mich nicht geirrt, schon die Animatronics in der Geisterrikscha und der Silbermine waren technisch gesehen ein Rückschritt im Vergleich zu den Figuren aus der Skala.


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    Und der Elvis (ab ca. 3:30 )hat echt einen umwerfenden Hüftschwung. Ich habe kurzzeitig selbst das Gefühl gehabt, so gut kann es doch gar nicht gewesen sein, aber das war es tatsächlich. Ich bedauere bis heute, dass es nicht auch von der Show in Tanakra (und zwar der originalen Show!) Filmaufnahmen in halbwegs brauchbarer Qualität und Länge zu finden sind.

  • Ich bedauere es auch.

    Das alte Phantasialand mochte ich sehr und die Animatronicsshows waren eines der Aushängeschilder des Park und von Herrn Schmidt.

    Ihn und sein Geschäftspartner durfe ich mal persönlich kennenlernen und ja,neben Efteling war ich auch ein großer Phantasialandfan mit Homepage (Phantasialand-bruehl.de) die es nicht mehr gibt.

    Leider hat man damals nicht wie heute alles gefilmt und fotografiert wie heute.

    Da freut man sich über jedes neue Foto usw. von damals.


    Ich habe eine große Sammlung des alten Phantasialandes und heute bin ich Eftelingfan und ein bisschen EP. 😉

    Auch wenn das heutige Phantasialand sehr gut gethemt ist usw.,so ist der Scharm von damals weg.

  • Sehr beeindruckend. Kann man sich gar nicht vorstellen dass da so viel Platz unter der Bühne ist für all die Puppen, da muss ja quasi an jeder Position eine Hebebühne sein. Und man kann sich so gar nicht vorstellen wie die Figuren dann auch noch durch den Raum bewegt werden, wie bei den Tänzern, die die gesamt Bühne einnehmen. Viele der Figuren müssen dann noch mit Druckluft versorgt und irgendwie angesteuert werden.

    Soweit ich das in Verstanden hab war die Show vollautomatisch.


    Technisch Unfassbar!

    Würde heute wohl nicht mehr entsprechend gewürdigt von den meinsten Gästen.

    Und ich denke zu teuer und Wartungsaufwändig.

  • Es war damals und wäre tatsächlich noch heute die größte und aufwendigste Animatronicshow der Welt. Nicht einmal Disney hatte etwas derart einmaliges zu bieten.


    Und ja, technisch war das ein Wunderwerk. Die Ballszene wurde aus dem Bühnenhintergrund über die komplette Figurengrube der Bühne nach vorne gekippt, Teile der Show wurden aus den Bereichen hinter den Seitenbühnen ins Sichtfeld der Besucher gekippt/geklappt/gedreht. Oder sie kamen über Hebebühnen aus dem Untergeschoss unter dem Theater. Und das alles im Dunkeln, quasi unsichtbar.


    Die Puppen wurden mit Druckluft betrieben, das typische Klacken der Ventile war bei der Musik kaum zu hören. Und dann überlege mal, dass die Figuren auch auf rotierenden Bühnenelementen saßen und das alles trotz der Schläuche irgendwie funktionieren musste, selbst die Sambatänzerinnen auf den Pferden auf den Deckenkarussels bewegten ja sogar ihre Lippen synchron zur Musik!


    Das Phantasialand wird heute für seine Qualität und Immersion gelobt, aber eigentlich ist das für Brühl gar nichts Neues, schon in den 80ern war das Phantasialand allen anderen Freizeitparks in Europa weit voraus.

    • Offizieller Beitrag

    Ist bekannt, wie lange man an dieser Attraktion gearbeitet hatte? Gibt es eventuell sogar Pläne dazu?

  • Mit Sicherheit in den Archiven des Parks irgendwo, aber an die Öffentlichkeit ist davon wohl eher nichts gelangt. Ich muss mal schauen, ich meine irgendwo habe ich zumindest einen Scan aus einer Broschüre, wo man einige der Figuren aus dem Tanakra in Ruhestellung unter der Bühne zu sehen bekommt...



    Da gibt es auch einige Details zu lesen zur Funktion. Magnetband ist das Zauberwort. Und viel, viel, viel Geduld und noch wesentlich mehr Arbeit.